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Die
traditionelle Musik Kambodschas
von Ingo Stoevesandt Kambodscha ist gleichzeitig eines der ärmsten und “reichsten” Länder Welt: Das Volk der Khmer, einst eines der mächtigsten in Südostasien, blickt heute auf eine junge Vergangenheit aus Krieg, Völkermord und Hunger zurück. Dennoch birgt dieses kleine Land in sich einen der größten Kulturschätze der Menschheit: Angkor Wat, das religiöse und machtpolitische Zentrum Südostasiens für viele Jahrhunderte, zieht heute viele Touristen ins Land. Doch was sowohl den Touristen als auch den Wissenschaftler mehr faszinieren kann als die übrig gebliebenen Mauern, ist die Kultur die dahinter steckt: Wieviel ist noch übrig vom einstigen Glanz der Khmer? Annäherung Wer sich intensiv mit der Musik Kambodschas beschäftigen will, stößt schnell auf Schwierigkeiten: Deutsche Literatur ist kaum vorhanden oder bereits so veraltet, daß man sie nur noch mit Glück in Universitätsbibliotheken findet. Zwar gibt es eine Fülle an französischer Literatur, meist aus der Kolonialzeit, doch auch diese ist heute nur noch schwer zu erhalten. Wer gute Englischkenntnisse besitzt, findet zwar einige Literatur und Websites, doch auch diese können meist nur einen groben Einblick vermitteln. Hier zeigt sich, wie wenig aus der aktuellen Forschung zur Musik Kambodschas der Öffentlichkeit zugänglich ist - was auch mitunter daran liegt, dass die Forschung hier noch in den Kinderschuhen steckt. Erst seit den Wahlen 1998 kann man von einer “Öffnung” Kambodschas zur Außenwelt sprechen, wodurch auch die Arbeit für die ausländische Forschung erleichtert wurde. Dennoch bleibt der erzwungene Friede instabil, wie die Unruhen vom Januar 2003 aufzeigten. Das Regime der “roten Khmer” unter Pol Pot hatte versucht, alle Intelektuellen des Landes zu ermorden, darunter auch alle Künstler, Tänzer und Musiker. Alle Spuren der glanzvollen Tradition der Khmer sollte ausgelöscht werden. Leider ist ihnen das fast gelungen: Heute sind viele von denen, die noch um die alten Traditionen wissen, ermordert oder im Ausland verstreut, und Flüchtlinge, die ins Land zurück kehrten, hatten ihre Instrumente und oft auch das Wissen über deren Herstellung verloren. Kambodscha als kultureller Schmelztiegel Die Erforschung der musikalischen Traditionen und Tänze Kambodschas ist umso wichtiger, weil Elemente daraus in vielen anderen südostasiatischen Ländern wieder zu finden sind. Daher ist die aktuelle und historische Musikpraxis Kambodschas ein wichtiger Baustein, um sie mit den Traditionen anderer Kulturen zu vergleichen. Die Tempelstadt Angkor Wat war für 500 Jahre ein sozialer Brennpunkt Südostasiens, der Besucher aus vielen Ländern willkommen hieß. Der Gottkönig Jayavarman II. (802-850) studierte am Hofe von Java, und noch heute sind vielfältige Einflüsse Indonesischer Kultur in der Kambodschanischen Tradition zu entdecken. Die Ähnlichkeiten zwischen den musikalischen Traditionen Kambodschas und Ländern wie Thailand oder Myanmar zeigt sich auch im klassischen Tanz Kambodschas. Die Kostüme und Tänze der berühmten himmlischen Tänzerinnen “Apsara”, deren Darstellung man auf fast allen Tempelwänden in Kambodscha findet, erlebt man auch ähnlich in Thailand und Indien. Dabei verknüpft die Tradition der Khmer diese Einflüsse jedoch zu einer eigenständigen Kultur, die weltweit einmalig ist. Aktuelles Musikleben Zusätzlich zu den genannten Problemen sieht sich die traditionelle Musik Kambodschas ebenso wie in anderen Ländern Südostasiens der zunehmenden Konkurrenz westlicher Popmusik und vor allem ausländischer Karaoke-Produktionen ausgesetzt. Wer ein traditionelles Instrument lernen möchte, hat oft Schwierigkeiten, einen Lehrer zu finden. Viele sind auch zu arm, sich ein Musikinstrument zu leisten, und Gelegenheiten, das traditionelle Können vorzuführen oder gar Geld damit zu verdienen sind rar. Dabei wird der Einfluß aus dem Ausland stärker, und die nachwachsende Generation eifert den Stars aus den Videos nach. Viele “Kulturträger” Kambodschas agieren aus dem Ausland, wissenschaftliche Puplikationen kommen vorangig aus Frankreich und den USA, wo die Khmer-Gemeinden versuchen, ihre Traditionen zu pflegen. In Kambodscha selbst ist die traditionelle Musik heute schwer zu finden. Volksmusik in jeder Form läßt sich bei einem der vielen öffentlichen Feste erleben, doch wie “alt” oder “traditionell” die gespielte Musik wirklich ist, läßt sich heute schwer nachweisen. Touristen erleben “traditionelle” Musik auch in Hotels und Restaurants oder beim Spaziergang durch die Ruinen Angkors, doch auch hier läßt sich schwer nachweisen, wie "authentisch" das gehörte Material ist. Wenige Touristen erleben auch die Musik der ethnischen Minderheiten auf Erlebnistouren abseits der bekannten touristischen Knotenpunkte Angkor Wat und Phnom Penh. Doch erst wenn die Infrastruktur verbessert wird und die Landminen beseitigt sind, wird man sich eingehender mit diesen Völkern und ihrer Kultur beschäftigen können. An der Universität in Phnom Penh bemüht man sich inzwischen, die wenigen schriftlichen Notationen alter Musik zu bewahren und für bestimmte Instrumente wieder Unterricht anzubieten. Durch das gesteigerte internationale Interesse an Kambodscha mit dem ansteigenden Tourismus läßt sich die Hoffnung formulieren, daß in früher Zukunft die bereits aktiven Institutionen mehr Unterstützung erhalten und somit die Pflege und Erforschung der traditionellen Musik der Khmer verbesset wird. Wenn man beachtet, welches Engagement in die Erforschung und Erhaltung der Architektur der Khmer investiert wurde, kann man sich Gleiches für die Musik nur wünschen. Schließlich ist die Musik ein weiteres Bindeglied, ein “missing link” für das Verständnis der musikalischen Traditionen von beispielsweise Thailand oder Myanmar, und verdient somit eine gleichwertige internationale Aufmerksamkeit. Das Pin Peat Ensemble Das Pin Peat Ensemble trifft man am häufigsten an, es ist wahrscheinlich das älteste in Kambodscha. Man findet es beim berühmten Schattentheater “Nang Sbek”, sie spielen zur Begleitung der traditionellen Tänze, bei öffentlichen Feiern und Festen, sowie bei der Khmer-Version des “Ramayana”-Epos, dem “Lokhon Kol”. Das Pin Peat Ensemble findet man ebenso in Thailand, Laos, Malaysia und Myanmar. Auch wenn die dortigen Namen anders lauten (z.B. “Pi Phat”), kann man davon ausgehen, daß es sich um analoge Ensembles handelt. Ob das Pin Peat der Khmer die ursprüngliche Version ist, bleibt fraglich. Zumindest läßt sie sich jedoch bis zur Angkorzeit zurück verfolgen. Die Musik des Pin Peat wird allgemein als “gong-chime music” beschrieben, was bedeutet, dass rhythmische Elemente im Vordergrund stehen, die von Gongs und Xylophonen erzeugt werden. Hier läßt sich ein Einfluss des javanesischen “Gamelan” Ensembles erkennen, der sicherlich auch auf die Beziehungen der Angkorianischen Herrscher zum indonesischen Hof zurück zu führen ist. Das Pin Peat Ensemble besteht aus minimal acht Spielern und kennt drei Gruppen mit verschiedenen Funktionen: Die erste Gruppe dominiert den Klang des Ensembles, hier spielen die rhythmisch orientierten Instrumente, wie die die Trommeln “Samphoo” und “Skor Thom” und die Cymbeln “Chheung” und “Ching”. Diese Hauptgruppe erzeugt, zusammen mit der dritten Gruppe der perkussiven Melodieinstrumente, den charakteristischen Klang und “Groove” des Pin Peat Ensembles. Die zweite Gruppe besteht aus ein bis zwei Oboen Sralay die die Hauptmelodie führen oder das hohe Rezitativ des Sängers unisono stützen. Die dritte Gruppe wird oft als Analogie oder gar Relikt des indonesischen Gamelan verstanden: Hier finden wir Melodieinstrumente mit perkussiven Möglichkeiten wie die Xylophone Roneat Ek, Dek, Thung und das in Südostasien weit verbreitete Gongspiel Kong Thom oder seine Variante Kong Touc. Diese Instrumente weben einen manchmal polyrhythmischen oder polyphonen Teppich aus Melodien, deren Klangschichtungen die Hauptmelodie der Sralay und des Sängers begleiten. Da das Pin Peat Ensemble in Südostasien so weit verbreitet ist, liegt in der Spielweise der Khmer ein Schlüssel für den Zugang zu dieser Musik, auch wenn die Instrumentation in anderen Ländern minimal abweicht. Bilder der oben genannten Instrumente finden Sie hier. Das Schattentheater und Tänze Das berühmte Schattentheater “Nang Sbek” wurde in Kambodscha gegründet und ist eines der besten Plätze, um Musik des Pin Peat Ensembles zu hören. Das Orchester beginnt dabei mit einem Vorspiel, worauf die beiden Vokalisten einsetzen, die mit langsamen Rezitationen (“Bat pum nul”) das Geschehen kommentieren. Dabei wird jedes Ende eines Kommentars mit dem Rollen der Skor Thom Trommel beantwortet. Manchmal stimmen sie auch prosaische Dialoge (“chen char”) an, die meist improvisiert und mit viel Humor gewürzt sind. Danach setzt das Orchester wieder ein unterstützt mit seinen rhythmischen Elementen das Spiel der Schattenfiguren, oft werden hier Bewegungen durch Trommelschläge verstärkt. Das Schattentheater kennt noch andere Variationen, so zum Beispiel das auf dem Land beliebte “Ayang”. Gemeint sind mit diesem Namen auch die Lederpuppen, die man unter ähnlichem Namen in Malaysia und Indonesien im dortigen Schattentheater findet, dem “Wayang Kulit”. Es ist die einzige Theaterform in Kambodscha, bei der auch gesprochen wird. Die humorvolle Hauptfigur eines Spiels trägt ebenfalls den Namen “Ayang”, sein Spiel und Sprechen wird oft unterbrochen vom Tanz anderer Puppen, die von einem verkleinerten Ensemble ähnlich dem Pin Peat begleitet werden. Die “Ayang” treffen wir auch bei einer humorvollen Tanzversion, bei der meist Mann und Frau (beide “Ayang”) gegen einander tanzen und dabei Volkslieder zur Begleitung der Harfe Takhe improvisieren. Die traditionellen Tänze Kambodschas erfreuen sich einer noch größeren Beachtung als das Schattentheater, was vor allem an den anmutigen Bewegungen der Tänzerinnen liegt. Einst war der traditionelle Tanz ausschließlich Frauen vorbehalten, heute gibt es inzwischen auch viele Tänzer und Tänze mit “männlichen” Themen wie Krieg und Kampf. Meist werden in den Tänzen Szenen aus dem “Ream Ker”, dem “Ramayana” Epos vorgeführt, bei der die Tänzer farbenfrohe Kostüme und Masken tragen. Dabei gelten die Darstellungen auf den Reliefs von Angkor Wat als Vorbild, und man versucht, die Kostüme und Masken möglichst genau nach zu ahmen. Auf diese Weise erwachen die Bilder auf den Tempelwänden zu neuem Leben. Tänze erzählen auch beliebte Volksepen (z.B. “Ream eyso” oder “Monora”) nach oder stellen das Leben auf dem Land und die Arbeit auf dem Feld für Touristen dar. Dabei ist die neu entdeckte Vielfalt des traditionellen Khmertanzes ein Ergebnis einer gerade erst erfolgten Wiederbelebung. In Zukunft wird die Bedeutung des traditionellen Tanzes für das Verständnis der Musik der Khmer noch zunehmen, da hier ein Schlüssel zum Gebrauch der Ensembles und Instrumente vorliegt. Besonderheiten Obwohl die Funktion der einzelnen Musikinstrumente innerhalb eines Ensembles strikten Vorschriften zu folgen scheint, erweckt das alltägliche Musikerleben in Kambodscha doch immer wieder den Anschein der Beliebigkeit: Volkslieder, moderne Schlager und traditionelle Weisen werden bunt mit einander gemischt und manchmal verirrt sich auch eine Spielweise oder Melodie von den ethnischen Minderheiten Kambodschas hinzu. Das macht eine Unterscheidung in “moderne”, “klassische” und “antike” Musik geradezu unmöglich. Da in Kambodscha jedoch der kulturelle Schmelzpunkt vieler Nationen im steten Wandel von gegenseitiger Durchdringung wirkt, ist eine all zu strikte Kategorisierung auch gar nicht notwendig. Vielmehr ist es schon schwer genug, grob den historischen Ursprung einer Melodie ein zu ordnen. So werden machmal auch Stücke des Schattentheaters “Nang Sbek” während einer Aufführung des “Ream Ker” gespielt und umgekehrt kann man manchmal ein Stück aus dem “Ream Ker” bei Schattenspielen oder öffentlichen Festen hören. Eine besondere Bedeutung kommt neben der Pentatonik vor allem einer isotonischen Tonleiter zu: Sie unterteilt die Oktave in sieben fast gleichwertige Tonschritte von ca 171,4 Cent. Diese isotonische Tonleiter finden wir ebenfalls in Laos, Thailand, Myanmar und Malaysia und ist außerdem unseren Tonleitern ähnlich, die ebenfalls aus sieben Teiltönen besteht. Man ist sich bis heute nicht sicher, wo genau diese Tonleiter her stammt. Da in Angkor Wat sich bereits früh die Einflüsse Indonesiens, Chinas und Indiens mischten, kann man in diesem Synkretismus eine Ursache sehen. Ein anderer Versuch zur Erklärung sieht den Ursprung der Tonleiter in der Stimmung der Instrumente nach Metallophonen, die in der Stimmung fest waren und zu diesen Centwerten führten. Die Musik des “Mohori” Ensembles nutzt beispielsweise eine pentatonische Leiter, die auf chinesische Systeme zurückgeführt werden kann. Hier sind Ornamentationen extrem wichtig, da sie Haupt- von Nebentönen trennen und einen erfahrenen Spieler auszeichnen. Insgesamt ist die Musik der Khmer vordergründig heterophon, polyphone Strukturen entstehen unbeabsichtigt, harmonische Schichtungen nur aus der Überlagerung von zwei oder mehr Melodien. Das Fehlen einer Moll-Dur-Harmonik und die isotonische Stimmung der Instrumente machen den Zugang zur traditionellen Musik der Khmer für einen Hörer mit euopäisch geprägten Hörgewohnheiten nicht gerade leicht. Hier bieten wie immer die Kinderlieder durch ihre Simplizität einen guten Einstieg in das ungewohnte Tonmaterial. |