DIE MUSIK SÜDOSTASIENS:                                                                                                                                                                                                             www.musikausasien.de

                                                         >Länder<        Instrumente       Videos       Vorträge        Radiosendungen        Konzerte       Biografie      Links      Impressum                                      


>Einleitung<
Instrumente
Artikel
Bücher + CDs
Musiker
Links
_______________________











 
Die traditionelle Musik Chinas
von Ingo Stoevesandt

Wie schafft man es, 3500 Jahre Musikgeschichte eines Großreiches wie China in wenigen Worten zu charakterisieren?
Die Antwort muß wohl lauten: Gar nicht. Und da ein solches Vorhaben ähnlich unrealistisch ist wie die Abhandlung der abendländischen Musikkultur in zwei Sätzen, möchte ich lieber kurz über grundsätzliche Anforderungen schreiben, die einem europäisch geprägten Musikliebhaber beim Anhören dieser Musik begegnen können: Warum klingt diese Musik so anders, so "fremd"? Oder gibt es vielleicht Entsprechungen zu unserer Musik? Und sind diese Erkenntnisse der chinesischen Musik auch auf andere asiatische Musik übertragbar?

Grundlagen  
Für einen europäischen Hörer klingt die chinesische (und auch andere traditionelle Asiatische) Musik zuerst einmal eher "fremd".
Das liegt natürlich vordergründig an den Klängen der fremden Instrumente, die sich zum Teil einer Klangerzeugung bedienen, die im europäischen Raum wenig verbreitet ist, wie auch die Klassifizierung der chinesischen Instrumente erkennen läßt:

Ähnlich der in Europa gängigen Einteilung (nach Hornbostel ) in vier verschiedene Klangerzeuger werden in China die Instrumente nach dem Material klassifiziert, aus dem sie zum größten Teil hergestellt werden. Die chinesische Klassifizierung kennt acht solche Kategorien:
Metall, Stein, Erde, Leder, Seide, Kürbis, Bambus und Holz.

Die Aufzählung der Materialien macht bereits einen Unterschied zu europäischen Instrumenten deutlich:
Instrumente aus Stein, Erde (gemeint ist Ton), Seide oder Bambus gibt es in Europa nicht.

Ebenso fremd wie die Instrumente erscheinen uns aber auch die gespielten Töne. In Europa ist unsere Hörgewohnheit geprägt von Kadenzen
und der Dur-moll-Harmonik. Die chinesische Musik kennt jedoch keine dieser Harmonien.

Grundlage der chinesischen Musik ist die (halbtonlose)
pentatonische Tonleiter, in der jeder Ton Grundton einer Tonart und einer damit verknüpften Tonleiter sein kann. Im europäischen Musikempfinden steht der Dur-Akkord für Freude, Moll für Trauer. Durch das Fehlen dieser Akkorde in der chinesischen Musik haben wir Schwierigkeiten, mit dem Gehörten eine Emotion zu verbinden. Weil wir ihre Emotionen nicht verstehen, “spricht” die chinesische Musik uns nicht an. Dennoch sind dieselben Emotionen in der chinesischen Musik vorhanden, sie sind nur anders “kodiert”. Wenn man nun noch in Betracht zieht, daß in der chinesischen Pentatonik jeder der fünf Töne einen Eigennamen mit speziell ihm zugewiesenen Eigenschaften besitzt, so wird schnell klar, daß die Musik in der chinesischen Kultur einen weitaus größeren Stellenwert und auch eine größere Funktion einnimmt als in Europa.

Es gibt in der chinesischen Sprache kein Wort für Musik allein, das Wort “Musik” ist bereits eine untrennbare Einheit aus Musik, Sprache und Tanz und ganz nebenbei beschreibt das chinesische Schriftzeichen für "Musik" auch gleichzeitig den Begriff "Freude" (Besser: "Ein Ton der Freude macht"!). Und seit dem Altertum wird die Musik auch als eine lyrische und wissenschaftliche Disziplin der Elite Chinas verstanden -
so war der große Gelehrte Konfuzius selbst ein begnadeter
Qin Spieler und Komponist.

Zugänge
Diese grundsätzlichen Unterschiede in der Musikauffassung scheinen den Weg zu einer besseren Rezeption der chinesischen Musik zu verschließen. Der Zugang zur chinesischen Musik ist jedoch nicht so schwierig wie es scheint, vor allem wenn man das augenscheinlich “Fremde” mit Vertrautem vergleicht:

Außerhalb der Pentatonik kennt die chinesische Musik auch seit annähernd 3000 Jahren die Aufteilung der Oktave in 12 annähernd gleiche Halbtöne, diese wurden jedoch durch sog. Stimmpfeiffen bestimmt und wichen ab von der in Europa etablierten temperierten Stimmung.
Da es ebenfalls keine
Mikrotonalität wie in der klassischen indischen Musik gibt,  sind somit die kleinsten Tonschritte vertraut.
Die Pentatonik ist zwar in Europa ebenfalls schon lange weit verbreitet, jedoch ist sie im europäischen Hörbewußtsein nicht so stark verankert wie die Moll-Dur-Harmonik. Wer selbst musikalisch aktiv ist, kann sich der Pentatonik annähern, indem er auf seinem Instrument mit pentatonischen Melodien experimentiert, improvisiert oder versucht, diese nach zu singen.

Die Vielfalt der chinesischen Musik kennt neben der Ensemble- und Vokalmusik auch ausgeprägte Solomusik. Diese rein instrumentalen Stücke wurden schon früh in eigenen Tabulaturen notiert, die man inzwischen auch als Transkription in “westliche” Noten vorfindet.
Die Instrumentalmusik erschließt sich dem Europäer leichter, so manche Kompositionen für
PiPa erinnern an ein barockes Präludium.
Ein Erlebnis der besonders beeindruckenden Art ist sicherlich auch der Besuch einer chinesischen Oper oder eines Theaterstücks, hier werden
die musikalischen Elemente mit den Emotionen der Sänger und Darsteller deutlich verknüpft.  
Lohnend ist ebenfalls die Beschäftigung mit traditionellen und modernen Kinderliedern, ihre einprägsamen Formeln sind oft einfach gehalten und sind sehr hilfreich für einen ersten Zugang zur Pentatonik. Ein weiterer Zugang zur chinesischen Musik liegt in der Auseinandersetzung mit der chinesischen Sprache und Schrift, da in der chinesischen Kultur (und so auch in der Musik) alle Elemente untrennbar miteinander verbunden sind. Sprache und Musik sind streng miteinander verknüpft. Die chinesische Silbensprache kennt sechs Intonationen für eine Silbe, so daß die Sprache selbst schon äußerst melodisch klingt und den narrativen Charakter der Melodik prägt.

Grundsätzlich zwingt uns die asiatische Musik zu einer ungewohnten Musikrezeption: Wir können sie nicht einfach “konsumieren”, sie ist keine Musik für das “nebenbei hören” sondern fordert unsere volle Aufmerksamkeit. Damit ist sie nicht immer bequem zu hören, belohnt jedoch den Hörer mit einer Fülle an Details und überzeugt durch ihre Ausdruckskraft.