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Vergessene
Kulturen:
Musik aus Malaysia
von Ingo
Stoevesandt
Abseits seiner Attraktionen in Flora und Fauna bietet der Vielvölkerstaat Malaysia vor allem einen weiteren Knotenpunkt für die Vermischung verschiedenster Kulturen: Das eigentlich indonesische Gamelan mischt sich mit arabischen Instrumenten wie z.B. der Laute Oud, Karaoke ist ebenso beliebt wie das Zupfen auf der indigenen Kurzhalsgitarre Sape (siehe Bild oben). Malaysia ist einer der “westlichsten” Staaten Südostasiens, gemeinsam mit Singapur bildet es eine zentrale Wirtschaftsmacht in Südostasien. Dabei kontrastiert der Glanz der vollverglasten Hochhäuser mit dem reduzierten Lebensstil der zahlreichen Urvölker Malaysias, die sich selbst die “ersten Menschen” ("Orang Asli") nennen und viele Traditionen bewahrt haben. Das
oben
abgebildete Instrument ist eine meist idiophone, manchmal auch
heterochorde Röhrenzither namens Keranteng
der Negrito in
Malaysia. Die oft historisch mit Afrika in Verbindung gebrachte Gruppe
der Negrito
in
Südostasien ist nur ein Beispiel für die
ethnoloigsche und kulturelle Vielfalt in Malaysia. Neben den vielen
durch den Islam importierten arabischen Instrumenten und Musikstilen
finden sich Gamelan-Ensembles ähnlich
derer aus
Indonesien, doch nicht nur für Naturliebhanber versteckt sich
der
wahre kulturelle Schatz Malaysias tief im Dschungel: Nur wenige
Kilometer von den Grossstädten entfernt trifft man auf eine
Lebensweise, die sich seit Jahrhunderten nicht geändert hat
und
erst mit dem Fortschritt der Globalisierung ins Interesse der
Weltöffentlichkeit rückte.
Nicht nur die geographische Nähe (und Teilung) Borneos, auch die in den heutigen Ländergrenzen beider Staaten lebenden ethnischen Minderheiten verknüpfen die Kultur Indonesiens mit der von Malaysia. In Malaysia ist das Gamelan überall an zu treffen, wenn auch in variiert Form und unter leicht geänderten Namen. Die westlich beeinflusste und entsprechend instrumentierte Keroncong-Musik trifft man häufig auf der Strasse,und in Hotels, Restaurants und Theathern gibt es Tanzaufführungen, Schattenspiele und Puppentheater sowie Gamelan-Konzerte. Doch nicht nur die alte Kultur Indonesiens hinterließ deutliche Spuren im Musikleben Malaysias, auch der Islam beeinflusste lokale Traditionen. Sechzig Prozent der Einwohner Malaysias sind Moslems, und so verwundert es nicht wenn sich indigene Traditionen mit islamischen Inhalten und Stilen mischen, wie zum Beispiel in den ghazal-Gesängen der Musiker in dem dafür berühmten Dorf Muer. Dabei steht ghazal für mehr als nur eine Textsammlung, und zwar steht es im arabischen (und auch im deutschen “Gahsel”) für eine bestimmte Poesieform. In Malaysia werden die Texte durch wechselnde Ensembles unterstützt, manchmal auch mit einem Gamelan-Ensemble. Das musikalische Alltagserlebnis zeigt sich in Malaysia noch vielfältiger: Nicht selten kann man eine chinesische Hochzeit oder ein chinesisches Begräbnis auf den Strassen erleben, da viele Chinesen sich als ständige Händler niederlassen. Die guten Handelsbeziehungen zum Westen brachten auch den Tourismus in Schwung, und so trifft man heutzutage sogar auf Technodiskos oder grosse Konzertveranstaltungen, ein klassisches Sinfonieorchester ist ebenso “normal” wie ein Gang in die Oper. Karaoke erfreut sich grosser Beliebtheit, ebenso wie die (teilweise illegale) Rockmusik. Diese scheinbar unüberschaubare Vielfalt in der Musik Malaysias ist nicht einfach einzuordnen. Wenn man bedenkt, welchen grossen Stellenwert die indigene Volksmusik neben all den bisher erwähnten Bereichen behalten konnte, wundert man sich oft, wie wenig dieser Bereich bisher erforscht ist. Ein Grund dafür ist, dass, wie in vielen anderen asiatischen Ländern auch, die mündliche Weitergabe von Traditionen die schriftliche Notierung dominiert. Daher gibt es wenig schriftliches Material um beispielsweise die Herkunft eines Instruments oder eines Liedes genau zu bestimmen. Die musikwissenschaftliche Aufarbeitung der einzelnen Kulturen Malaysias wird vor allem durch ihre Vielfalt erschwert, zusätzlich leidet jedoch gerade die Betrachtung der indigenen Völker unter dem Vermarktungseffekt der an Touristen verkauften “edlen Wilden”, einem Problem in ganz Asien: Busladungen mit fotografierwütigen Touristen halten in den Dörfern und geben den Einwohnern das Gefühl ein exotisches Tier im Zoo zu sein. Ganze Dörfer leben inzwischen von diesem kulturellen “Ausverkauf”. Manche der unter dem Namen “Orang Asli” eingeordneten Völker in Malaysia wurden erst jüngst “entdeckt”. Darunter finden sich Untergruppierungen wie beispielsweise die Dayak und Penan auf Borneo, welche vermutlich eine uralte Verbindung zu den indonesischen Hofmusik-Traditionen aufweisen. Der ebenfalls gebräuchliche Begriff “Negrito” wird inzwischen bereits als Schimpfwort angesehen. Unter der Namensgebung der “ersten Menschen” (“Orang asli”) sind offiziell 18 Ethnien zugeordnet, die sich zum Teil stark voneinander unterscheiden. Grundsätzlich sind diese Dschungelvölker mit ihrer teilweise noch nomadischen Lebensweise ein weltweites Unikum und erfahren dem entsprechend sowohl wissenschaftliche als auch touristische Aufmerksamkeit. In der Weltmusikszene findet man vor allem die “Regenwaldmusik” der Temiar, welcher heilende Kräfte zugesprochen werden und in Europa auch für therapeutische Zwecke eingesetzt wird. Allerdings wird hier bereits ein vermarktungstechnischer Aspekt des “Exotismus” deutlich, denn wirkliche Informationen zu den Ritualen und der Musik der Temiar wird man nicht finden, da sie noch gar nicht ausreichend erforscht sind. Vielmehr greift auch hier das Bild des “edlen Wilden” der in völligem Einklang mit seiner Umwelt lebt. Dieses Bild ist natürlich völlig unrealistisch. Vielmehr sind die meisten Stämme, soweit sie nicht nomadisch leben, gezwungen um ihre Ländereien zu kämpfen und nicht von Grossindustrie oder Tourismus vertrieben zu werden. Traditionen verschwinden oder sterben aus, weil viele dazu gezwungen sind, ihren seit Generationen gewohnten Lebensraum zu verlassen und in die Grossstädte zu ziehen. Vor allem junge Menschen ergreifen schnell die Landflucht und hoffen auf ein besseres Leben in einer Grossstadt. Dabei könnten viele dieser “vergessenen Kulturen” Aufschluss über Analogien zu anderen Völkern Asiens und ihrer Traditionen geben. So führte das nomadische Leben mancher Volksstämme dazu, dass sie ihre Instrumente nur für einen Einsatz bauten und danach wegwarfen, da sie zu schwer für den Transport waren. Vor allem die Verknüpfung bestimmter Musikinstrumente oder Musikstücke mit schamanistischen Ritualen und animistischen Assoziationen bieten eine einmalige Gelegenheit eines Einblicks in die jahrhunderte alte Religion und Philosophie dieser Völker, deren Verbreitung auch heute noch bis in den sibirisch-arktischen Kreis hinauf reicht. Anstelle einer touristischen Vermarktung trat auch oft der Nutzen dieser Völker als politischer Spielball, worunter sie bis heute leiden. Der englische Bericht von Colin Nichlas gibt darüber detailiert Auskunft. Inmitten der bunten Vielfalt aktueller Musikstile findet sich in der Musik der Orang Asli ein Juwel für musikethnologische Studien das viele offenen Fragen der Musikwissenschaft in Südostasien beantworten könnte. |