DIE MUSIK SÜDOSTASIENS:                                                                                                                                                                                                             www.musikausasien.de

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Die traditionelle Musik Thailands
von Ingo Stoevesandt

Thailand lockt nicht nur mit seinen Badestränden und anderen landschaftlichen Attraktionen jedes Jahr Millionen Touristen ins Land, auch die jahrtausende alte Kultur und der Buddhismus sind wichtige Magneten für Besucher aus aller Welt. Dabei steht die Musik weniger im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit ausländischer Besucher, vielmehr scheint sie manchmal nur noch als exotische Randerscheinung bei einem Dinner im Hotelrestaurant wahrgenommen zu werden. Dabei ist die traditionelle Musik Thailands lebendiger als man glauben mag. Sie ist ein Beispiel dafür, wie sich viele kulturelle Aspekte im alten Siam erhalten und verwandeln konnten, ohne vom Tourismus überrannt zu werden.
Die Betrachtung der traditionellen Musik ist auch wichtig, um das Ringen der Thai um ein kulturelles Selbstverständnis besser zu verstehen.

Eigentlich läßt isch die musikalische Vielfalt Thailands gar nicht in wenigen Sätzen zusammenfassen: Neben dem immer beliebter werdenden Thai Pop und dem allseits verbreiteten Karaoke finden wir auch eine Vielfalt lebendiger Traditionen, die gemeinsam mit den Traditionen der in Thailand lebenden Völker ein buntes musikalisches Mosaik ergibt, welches sich nur schwer aufteilen läßt.
Dabei ist es hinderlich von der Musik der "Thai" zu sprechen, ohne diese große, über Vietnam, Laos, Kambodscha und bis nach Burma und Malaysia verteilte Volksgruppe näher einzugrenzen. Sechs Subgruppen bilden die Sprachgruppe der Tai-Kadai:

- Die westlichen Thai (Shan)                           - Die südlichen Thai (Siamese)       - Die Mekong Thai (Lao, etc)
- Die Hochland Thai  ("Coloured" Thai)       - Die östlichen Thai (Nung, etc)      - Die Kadai (Li, Kelao, Laqua)

Ausgehend von diesen Gruppierungen kann man die Erscheinungsformen traditioneller Musik am besten in vier Regionen einteilen:
Den Süden, Zentralthailand, den Norden (Lanna) und den Nordosten (Isaan).
Im Folgenden werden wir uns hauptsächlich mit der Musik der Zentralthai beschäftigen, während die Randgebiete Sonderfälle darstellen, da sich hier durch die geographische Lage ("goldenes Dreieck") Traditionen der Lao, Khmer und Mon mit indigenen vermischen. In diesen Gebieten treffen wir auf eigene Traditionen, wie das von Malaysia eingewanderte Schattentheater im Süden, den bekannten Fingernageltanz im Norden und das Singen der "lam" Gesänge und Spiel der Mundorgel Khene im Nordosten.

In allen Bereichen ist die Hofmusik von den Traditionen der Dorfmusik abgegrenzt. Der Begriff der "Klassik" greift jedoch für die Thailändische Hofmusik nur schwer, da die einst elitäre Musik des Hofensembles längst Teil der Öffentlichkeit geworden sind, und der Begriff selbst eher als "hochwertige Musik" gedeutet werden kann. Dennoch gilt die Hofmusik aufgrund der Schriften und Kompositionen der Könige und Hofbeamten, und auch aufgrund der ab dem 17. jahrhundert zahlreichen Besuche europäischer Forscher als sehr gut dokumentiert, wenn auch leider nicht bis zurück zu den Anfängen in Sukothai im 12. Jahrhundert.

Dabei hat sich Thailand vor allem im 18. und 19. Jahrhundert als Block zwischen dem von England besetzten Burma und dem französisch besetzten "Indochina" verstanden, und hat aufgrund dieser isolierten Position seinen Nationalstolz noch erweitert, der bereits 1767  durch den Einfall der Burmesen in Ayutthaya  nicht beeinflusst werden konnte und u.a. auf dem Sieg gegen Angkor Wat von 1431 beruhte.

Das Interessante an der "Klassik" Thailands ist, daß sie zwar nicht mehr in den musikalischen Alltag gehört, jedoch in Thailand als "authentisch" gilt und somit gerne für representative Zwecke jeder Art genutzt wird. So verwundert es auch nicht, daß man bei vielen Zeremonien und Festen Instrumente der klassichen Ensembles wieder trifft. Und so trifft man heute die traditionelle Musik auch vor allem bei Strassenfesten, oder zur Begleitung von Tanz und Theater an, auch wenn nach dem Verbot der "Klassik" im Jahr 1932 die Universitäten seit den 70iger Jahren versuchen, diese wieder aufleben zu lassen.

So ist das Schattentheater "nang yai" zwar ein naher Verwandter des "sbek thom" aus Kambodscha und anderer Schattentheater wie man
sie  in Indonesien und Indien findet, erfreut sich jedoch in Thailand einer eigenen reichhaltigen Tradition. Die aus dem indischen Epos "Ramayana" (Ramakain in Thailand) stammenden Stücke finden vor einem Hintergrund und auf einer Bühne statt und werden mit der Musik eines 
Piphat Ensembels begleitet. Dabei gibt es für jedes Stück ein eigenes Set Puppen oder Schattenfiguren (chü).
Neben dem Schattentheater gibt es ebenfalls noch das Puppentheater "hün", welches ohne Leinwand auftritt.

Das Maskentheater "khon" ist wahrscheinlich im 16. Jahrhundert aus dem Schattentheater entstanden, indem die Teilnehmer die Puppen
und Figuren selbst spielten. Dabei tragen sie bunte Masken, die heute vor allem Götter und Dämonen darstellen. Begleitet werden sie dabei von dem Piphat Ensemble mit harten Schlegeln (mai khaeng), und die Schauspieler oder besser Tänzer haben keine Sprechrollen, denn am Rand der Bühne steht ein Erzähler, und Gaukler und Narren greifen manchmal ebenfalls kommentierend ein. Die Schritte der Tänzer werden von den Trommeln des Piphat mit Geräuschen unterlegt, während das Xylophon die Hauptmelodie vorträgt.

Das bekannte Tanzdrama "lakhawn" (lakoon) stammt wahrscheinlich ursprünglich aus Kambodscha oder von dem in den Dörfern beliebten Komödientheater li-ke. Hier wird mehr gesungen und weniger getanzt als im Maskentheater, jedoch findet es oft nur in Nähe eines Tempels statt und ist heute selten geworden. Begleitet wird es von einem Piphat oder Mahori Ensemble ,und unterstreicht die Wichtigkeit der Tempel als Austragungsort für Musik und Tanz und Bewahrungsort für viele Traditionen.

Musikstücke der teht mahachat Zeremonie der Tempel und auch die traditionellen Lieder der sepha Liederzähler, die sich auf der Holzklapper
krap sepha begleiten, haben inzwischen Eingang in das Repertoire vieler Ensembles gefunden. So steht inzwischen die Ensemblemusik im Mittelpunkt des traditionellen Musiklebens in Thailand.

Die Ensembles spielen nicht nur bei Theater, Tanz, Festen und Zeremonien eine tragende Rolle, sondern tragen auch entscheidend zur Systematik der Musik selbst bei. So formt nicht nur der jeweilige Anlass das Erscheinungsbild eines Orchesters, auch die Stimmung der genutzten Instrumente ist entscheidend.
Der Name "Piphat" weist bereits darauf hin: Vor allem die Aerophone wie die Schalmei Pi bestimmen die unterschiedliche Stimmung der Ensembles, und je nach genutztem Instrument verändert sich auch die Stimmung des gesamten Ensembles, orientiert sich dabei jedoch an
der Numerierung der Gongs auf dem khong wong yai Gongkreis:

G  (gong 4) - thang nai - (pi nai)
A (gong 5) - thang  klang - (pi klang
B  (gong 6) - thang phiang - (eigentlich auf C)
C  (gong 7) - thang kruat - (pi nawk)
D  (gong 1) - thang haep - (khlui lip)
E  (gong 2) - thang chawa - (pi chawa)
F  (gong 3) - thang phiang - (khlui u)                                  (in Klammern jeweils das entsprechende Aerophon)


Die oben angegebenen Tonhöhen sind jedoch relativ und erst in jüngster Zeit der europäischen Diatonik angeglichen worden, vor allem die Flöte khlui ist jedoch bekannt für die Diskussion um die angeblich isotonische Tonleiter die sie repräsentieren soll. Wahrscheinlich ist jedoch die Isotonie in Thailand nie mehr als ein Ideal gewesen, an dem man sich mehr oder weniger orientierte.
Die oben entstehenden thang ergeben auch modal einsetzbare Skalen, die jeweils Ausschnitte einer pentatonischen Tonleiter wieder geben, die auf den Stufen 1,2,3,5,6 basiert und die Stufen 4 und 7 ebenfalls als modulierte Seitentöne mit einschließt, eine Praxis, die wir in ähnlicher Form heute auch bei den angepaßten Modi der klassischen Musik Burmas wiederfinden.

Ähnlich wie bei der Zusammensetzung der Ensembles ist jedoch anzumerken, daß diese strenge Skalenführung heute nur noch bedingt eingehalten wird, was auch daran liegt, daß immer weniger junge Musiker diese überhaupt kennen. Ausserdem ist zu bewzeifeln, inwiefern diese Regel im Alltag einhaltbar war, da man schließlich entsprechend präzise gestimmte Instrumente zur Verfügung haben muß, und deren Anschaffung übertrifft die finanziellen Mittel vieler Musiker auch heute.

Das wichtigste Musikinstrument im Ensemble ist auch gleichzeitig das Unscheinbarste: Die Handzymbel chin bestimmt durch offene und gedämpfte (chap) Schläge den Herzschlag der gespielten Musik. Dabei wird der Gesamtrhythmus (nathap) des Stückes nur durch Augmentation oder Diminution verändert. Das Tempo wird also entweder halbiert oder verdoppelt, ein tempo rubato (thawt) hört man eher selten.  
Die Endpunkte der melodischen Phrasen des eingesetzten Aerophones oder Gesangs enden hierbei immer gemeinsam mit der ching auf einem betonten chap Schlag.

Grundsätzlich unterscheided man in Thailand drei "Tempi" (chan), die sich jedoch eher mit einem Begriff wie "musikalische Dichte" beschreiben lassen und über das wirkliche Tempo nichts aussagen:

sam                                                                           sawng                                          dio
weit, begleitet Flöten und Gesang                      normal, eher ruhig                      dicht, beim Spiel der Xylofone

Die musikalische Dichte von sam ist also eine Augmentation der anderen beiden Vorgaben und keine reale Geschwindigkeitsvorgabe.

In dem perkussiv ausgelegten Piphat Ensemble kennen vor allem die Trommel- und Xylofonspieler eine hohe Virtuosität, jeder Anschlag kennt einen eigenen Namen und das Spiel wird wie Indien durch Solmisation gelernt.
Die Unterscheidung der Trommeln in männliche und weibliche Exemplare erinnert ebenfalls an Indien, doch die Thailändischen Trommeln selbst erreichen nur selten die Virtuosität der weltweit bekannten indischen Tabla.

Gemeinsam mit den Melismen und Verzierungen der Gesangsstimme oder des Aerophons ergeben sich nun musikalische Stile (thang), die eng an die genutzten Skalen und Rhythmus-Pattern geknüpft sind, und im Titel jeweils ihrer Herkunft nach (Lao, Khmer, Mon, Malay) bezeichnet sind. Manche kennen auch formale Eigenheiten, wie z.B. die Coda luk mot im narrativen sepha Stil.

Bei aller Strenge und Kategorisierung ist ein improvisatives Spiel kaum vorgesehen, man kann eher davon ausgehen daß die Ausführenden bei der Verzierung und Ausführung der Stile eine gewisse persönliche Freiheit besitzen, eine reine Improvistaion ist jedoch ausgeschlossen.
Diese finden wir eher in der homophonen Musik der Saiteninstrumente, die sich nicht nur strukturell von der polyphonen Musik der "gong-chime" Ensembles abhebt.

Die Musik der Ensembles wird meist mündlich tradiert, nur die Lieder und Stücke für die Saiteninstrumente werden neuerdings in Zahlen oder Symbolen notiert, eine Entwicklung die u.a. auf der chinesischen Notation beruht. Eine Angleichung der annähernd isotonischen Tonleiter an die europäische Diatonik ist wohl nicht zu verhindern gewesen, erleichtert jedoch inzwischen auch die westliche Notation, die jedoch den vielfältigen religiösen und philosophischen Assoziationen der Töne nicht gerecht werden kann.

Einer der wichtigsten Orte für die Weitergabe der Musiktradition ist natürlich der 
Tempel, in dem Musik generell zum spirituellen Alltag gehört. Viele Gebete werden mit erhöhter Gesangstimme vorgetragen (thet), und die liturgischen Lieder kennen ebenfalls wie die "klassische" Musik verschiedene Stile (z.B. makot oder sang yok).
So lassen sich neben den regionalen Stilen thang auch regelrecht musikalische Genres (phleng) entdecken:
 
naphat    - bildhafte Musik für Theater, Tanz und Darstellung alles Emotionellen
rüang      - Einzelstücke wie das "Satugan", das erste Lied welches man in einem Piphat lernt
tap           - Suiten von Instrumental- und Gesangsstücken
thao         - Wettbewerbsstücke, die zwischen Hoforchestern beim Besuch einer hohen Persönlichkeit ausgetragen wurden
la              - Stücke am Ende einer Aufführung
kret          - "fremde" Musikstücke, die ihre Herkunft (Lao, Khmer, Mon) im Titel angeben
yai            - "große Musik", die vor allem versucht, möglichst viele Stile miteinander zu kombinieren
dio            - jede rein instrumentale Solomusik
homrong  - Eine Sammlung von Overtüren und Preludien

Erstaunlich viel Instrumentalmusik ist in den Genres zu entdecken, doch zusätzlich läßt sich diese auch bei der unumgänglichen Wai Khru - Zeremonie erleben, in der alle Lehrer symbolisch durch die Verehrung der Maske des "großen Vaters" geehrt werden. Auch hier zeigt wieder der Tempel seine zentrale Rolle, und religiöse Tugenden erweitern sich auf die Musikinstrumente, die wie Persönlichkeiten mit Respekt behandelt werden und über die man niemals "rübersteigen" sollte.

Musiker  mögen in der Popmusik zwar inzwischen einen westlichen Starkult entwickelt haben, für die traditionelle Musik gilt jedoch weiterhin,
daß ein Musiker weniger für sein technisches Können als vielmehr für sein weit reichendes Repertoire an Stilen und Liedern bewundert wird.

Doch wie unterscheiden sich nun diese regionalen Stile und Genres?
Die Grenzregionen Thailands wie der Süden und  Isaan und Lanna im Norden sind vor allem durch den Einfluß der an sie grenzenden Länder beeinflußt: Laos, Kambodscha, Burma und Malaysia  prägen die Entwicklung lokaler Traditionen nicht unerheblich. Dennoch sind auch diese Einflüsse dabei, langsam zu versiegen, da die jungen Menschen in Thailand nur noch ausschließlich "Thai KLassik" lernen und nicht die lokalen Traditionen. Ausserdem verschwinden immer mehr Sprachen und Dialekte aus diesen Regionen, und damit auch viele Lieder.
Die einst reichhaltige Liste der "Dorflieder" (phleng pün ban) ist so bereits verschwunden, und andere Traditionen werden folgen.

Gleichzeitig nimmt der Einfluss des Westens immer mehr zu, und bei vielen Festivals tauchen inzwischen Bands mit Schlagzeug, E-Gitarre  und Bass (und bis zum Anschlag aufgerissenen Verstärkern) auf und lösen so die Ensembles ab, eine logische Folge, die sich bereits im 19. Jahrhundert abzeichnete, als militärische (französische) Blaskapellen bei Staatsempfängen das erste Mal zum Einsatz kamen.

Kombiniert mit diesem steigenden Einfluß strömen ebenfalls aus dem Süden und Norden neue Einflüsse nach Thailand, so z.B. das von
Malaysia geprägte Theater manora und sein Schattenpendant nang talung im Süden Thailands, in dem auch der Islam Anhänger gefunden hat.
Aus dem Nordosten Isaan wanderte das Spiel der Mundorgel Khene und die Gesangstradition "mor lam" ein, die sich jedoch auf der Thailändischen Seite des Mekong anders entwickelte als in Laos, und auch in Lanna entstanden berühmte Traditionen wie z.B. der Fingernageltanz, der inzwischen in ganz Thailand anzutreffen ist. Gerade Isaan gilt heute für Musikforscher als interessante Region, ist diese doch aufgrund des Mangels an großen Städten vom Massentourismus verschont geblieben, und so hoffen die Forscher daß sich hier noch viele Traditionen "authentisch" erhalten konnten. Vor allem die Musik der innerhalb Thailands lebenden ethnischen Minderheiten gilt noch weitgehend als unerforscht und dürfte für die Forscher noch einige Überraschungen bereit halten.

Betrachtet man all diese Aspekte der aktuell in Thailand praktizierten traditionellen und indigenen Musik, so kann man doch von einer attraktiven Vielfalt sprechen, die zu Unrecht weniger Beachtung findet als Traumstrände und Luxushotels. Obwohl sich viele dieser Elemente noch mit modernen musikalischen Erscheinungsformen wie dem Thai-Pop vermengen, ist die Gefahr des Verschwindens traditioneller Musik in Thailand ebenso groß wie in anderen Ländern der Region. Da Thailand bereits engagiert versucht, das negative Image des Tourismus als Unterdrücker und Zerstörer der eigenen Kultur in ein positives Bild zu wandeln, könnte eine verstärkte Rückbesinnung auf die eigenen Traditionen dazu beitragen und anderen Ländern als positives Beispiel dienen.