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Musik
aus Stein und
Bambus: Musik aus Vietnam
von Ingo Stoevesandt Vietnam ist ein Land der Vielfalt, nicht nur unter geographischen und sozialen, sondern auch unter musikalischen Gesichtspunkten. Innerhalb der heutigen Landesgrenzen mischten sich einst die Einflüsse der drei größten asiatischen Kulturen aus Indonesien, Indien und China mit den einheimischen Bräuchen. Heute leben in Vietnam 54 Volksgruppen, die unterschiedlicher kaum sein könnten und deren kulturelles Erbe wurde - oft nicht gerade freiwillig - in die vietnamesische Kultur integriert. Wie in jedem Schwellenland versucht auch die vietnamesische Kultur sich gegen den zunehmenden westlichen Einfluss zu behaupten und zu verhindern, daß die alten Traditionen in Vergessenheit geraten. 1. Auf der Suche nach Traditionellem: Ein Mosaik aus Musik Vietnam befindet sich im Aufwind. Längst sind schöne Landschaften wie die HaLong Bucht mit seinen Kalkfelsen kein Geheimtip mehr und Touristen aus aller Welt strömen in das Land. Dabei wird Vietnam oft als “authentisches” Asien beworben, in dem noch viele Jahrhunderte alte Traditionen bis heute gelebt werden. Wieviel der durchschnittliche Tourist von diesen Traditionen zu sehen bekommt, ist eine andere Frage: Wie und wo erlebt man heute in Vietnam traditionelle Musik? Am ehesten hört man Traditionelles noch in den buddhistischen Klöstern oder beim Besuch des CaoDai-Klosters in Tay Ninh, einer Religion die metaphorisch für den Ekklektizismus Vietnams versucht, alle großen Weltreligionen in sich zu vereinen. Gute Gelegenheiten für das Erleben traditioneller Musik ergeben sich bei öffentlichen Feiern und Festen oder bei einer der nicht seltenen öffentlichen Begräbniszeremonien. Im Radio und Fernsehprogramm findet man durchaus auch Shows mit “traditioneller” Musik (oder was als solches verkauft wird). Bei der Arbeit auf dem Feld wird viel gesungen, und mit etwas Glück bekommt man ein Kinderlied zu Ohren. Und schließlich gibt es noch den unverzichtbaren “Showroom” des “Vietnamese Institute for Musicology” (VIM) in Hanoi, das neugierige Besucher äußerst gerne willkommen heißt und durch die exklusive Sammlung vietnamesischer Musikinstrumente führt, die man sich auch vorführen lassen kann. Die
Gründe für das partielle Verschwinden traditioneller
Musik
aus dem vietnamesischen Alltag sind vielfältig:
Während des
Vietnamkrieges ging viel Wissen verloren, junge Menschen wandern auch
heute noch aus
den Siedlungen in die Städte ab und manche Traditionen werden
einfach nicht mehr weiter gegeben. Wenn ein junger Mensch sich
entschließt ein traditionelles Instrument zu lernen, blickt
er
einer arbeitslosen Zukunft entgegen, ganz abgesehen von der
Schwierigkeit, einen Lehrer für sein Instrument zu finden.
Stellen
als Musiker für ein traditionelles Instrument sind rar, oft
bleibt
nur, in Hotels für Touristen zu spielen, und so lernen viele
Jugendliche ebenso sinnfrei zusätzlich noch ein
“westliches” Instrument zu spielen, um eine der
begehrten
Stellen im einzigen, schlecht bezahlten Sinfonieorchester des Landes
zu ergattern. Auf der anderen Seite lockt schnelles Geld durch
den
Handel mit Raubkopien oder der billigen Produktion von Karaoke
Videotapes, die den gesamten asiatischen Markt überfluten. 2. Kurze
Anleitung für eine Näherung Der fremde Klang einer melodischen Silbensprache sowie die ungehörten Klänge der unbekannten Musikinstrumente sind jedoch nicht die einzigen Gründe für eine Verwirrung eines westlichen Zuhörers. Auch das Tonmaterial ist anders zusammengesetzt. Betrachtet man die beiden wichtigsten Tonleitern “bac” (links) und “nam” (rechts), so unterscheiden sich diese beiden pentatonischen Tonleitern nur durch Vierteltonschritte (+/-), die ein westlich geschultes Gehör nur schlwer unterscheiden kann. Spielt man einem westlich geprägten Hörer beide Tonleitern vor, wird er kaum einen Unterschied erkennen, die zweite Tonleiter klingt dann einfach "falsch gestimmt". In den pentatonischen Tonleitern kann jeder Ton als Grundton einer neuen Tonart fungieren. Die dadurch entstehende Musik ist jedoch eher homophon oder heterophon, seltener polyphon. Die meist nur flüchtig entstehenden Akkorde sind Intervallschichtungen und von unseren Akkorden Dur und moll weit entfernt. Da also nicht nur die Sprache und die Instrumente sondern auch gar die Harmonik der benutzten Töne fremd ist, kann man getrost einen Großteil seiner westlichen Hörgewohnheiten über Bord werfen. Bestimmte Töne gelten als Haupt- andere als Nebentöne. Beide können auf bestimmte Art verziert werden (einen guten Instrumentalisten mit viel Kenntnis vorausgesetzt), und die ältere Generation in Vietnam kann nur durch das Hören dieser Ornamentation und der benutzten Tonleiter bestimmen, ob das Stück z.B. aus dem Süden oder Norden stammt. 3. Von der Stimme zum Instrument Um die eigenen Hörgewohnheiten anzupassen, empfiehlt es sich, selbst ein wenig die pentatonische Tonleiter zu üben. Auf die am einfachsten zu lernende Pentatonik trifft man bei den Kinderliedern, und mit etwas Glück und Charme findet man bestimmt einen kleinen Vietnamesen, der einem “du lich” ein Kinderlied beibringt. Noch eher lernt man allerdings die Besonderheit der pentatonischen Skalen Vietnams über die verschiedenen modalen Einsätze in den vokalen Traditioen wie "ca Hue" und dem "hat a dao" kennen, mit etwas Glück lassen sich in Zentralvietnam von Danang bis Hue diese meist mit einer Laute und einer Ratsche und Beifallstrommel begleiteten Aufführungen erleben. Inzwischen sind so manche traditionellen Instrumente auch zum Touristensouvenir geworden (manchmal handelt es sich jedoch um unbespielbare Dekorationsware), so daß bestimmte Instrumente inzwischen als vietnamesische Identifikationsware um den Globus reisen. Da es eine Fülle von unterschiedlichsten Instrumenten in Vietnam gibt seien hier nur die elementarsten kurz vorgestellt, die einem aufmerksamen Reisenden in Vietnam immer wieder begegnen. Es kommen jährlich neue Instrumente hinzu, viele von ihnen sind Entdeckungen der Musikforscher bei den Bergvölkern Vietnams, von denen die vietnamesische Kultur viele Instrumente assimiliert hat. Es ist dabei jedoch nicht immer einfach zu entscheiden, ob ein Instrument wirklich “vietnamesisch” ist oder einen anderen historischen Ursprung hat. Zum einen neigt die vietnamesische Kultur auch in der Musik dazu, sich Dinge einzuverleiben, zum anderen gibt es Instrumente wie die zweisaitige Fidel Co Ke, die in ganz Asien unter verschiedensten Namen verbreitet sind, und bei denen es schwierig ist, den Ursprung eindeutig zu bestimmen. Die meisten Instrumente werden immer noch in Handarbeit hergestellt, nur wenige werden inzwischen industriell gefertigt. Instrument und Spieler bilden ein Einheit, das Instrument wird zu einem Teil der Persönlickeit beim Spieler, was unter den Bergvölkern sogar soweit ging, dass Instrumente nur für eine bestimmte Person bestimmt waren und bei dessen Tod mit ihm begraben wurden, um zu verhindern, dass jemand anderes das Instrument spielt. 4. Ausblicke Der größte Teil der vietnamesischen Musik ist Ensemblemusik, Solostücke für die Zither Tranh oder das Monochord Dan Bao gibt es erst seit jüngerer Zeit. Einen rechten Eindruck von einem Instrument bekommt man meist erst, wenn man es im Zusammenklang mit anderen Instrumenten eines Ensembles hört. Dies gilt vor allem für die Gong-Ensembles der Bergvölker. So ist die Ensemble- und Vokalmusik auch Zentrum eines eigenen Artikels: "Die Musik der Ensembles in Vietnam" Allerdings ist die "Katalogisierung" dieser Ensembles eher schwieirg: Für manche Zwecke werden diese Ensembles auch frei zusammen gestellt, jeder spielt auf dem, was er gerade finden kann, und so entstehen oft bunte beliebige Kombinationen. Denn selbst die Instrumentation folgt nur dem wichtigsten Aspekt in der vietnamesischen Musik, und das ist und bleibt die menschliche Stimme und der Gesang. So gilt für alle die Melodie tragenden Instrumente, daß sie möglichst nahe den Klang der menschlichen Stimme imitieren sollen, und wenn man bestimmte melodische Verzierungen verstehen möchte, sollte man ernsthaft die Vietnamesische Sprache studieren, denn die Aussprache von einzelnen Silben und ihre Betonungen spiegeln sich in den Phrasen und Motiven der Melodik wieder. Die Aufteilung der Tonleiter in zwei Skalen und der modale Gebrauch dieser Skalen ist neben der vokalen Dominanz der Musik ein herausragendes Merkmal der vietnamesischen Musik. Gemeinsam mit instrumentalen Identitäen wie dem Dan Bao oder der Tranh und einer sehr aktiven Gemeinde in der Diaspora sowie neuen Entwicklungen in Forschung und Lehre in Vietnam selbst hat sich die Ausgangslage für die Erhaltung der vietnamesischen Musiktraditionen in den letzten Jahren stark verbessert. Es bleibt jedoch ein zentrales Anliegen der Forscher und Institutionen, vor allem die jungen Leute in Vietnam wieder zu erreichen und ihnen die Freude an der eigenen Musikkultur zurück zu schenken. |