DIE MUSIK SÜDOSTASIENS:                                                                                                                                                                                                             www.musikausasien.de

                                                         >Länder<        Instrumente       Videos       Vorträge        Radiosendungen        Konzerte       Biografie      Links      Impressum                                      


Einleitung
Instrumente
>Artikel<
Bücher + CDs
Musiker
Links
_______________________











 
Die Musik der Ensembles in Vietnam
von Ingo Stoevesandt

1. Das Ensemble und sein Stellenwert
Das Ensemble ist in der asiatischen Musik der Ort musikalischer und instrumentaler Vielfalt. In keiner musikalischen Tradition Asiens fehlt des Ensemble als aktueller und historischer Knotenpunkt für die Zugänglichkeit und das Verständnis einer gesamten Musikkultur. So bietet sich auch in Vietnam die Vielfalt der Ensembles als Ausgangspunkt an, die Mannigfaltigkeit einer Musikkultur zu beschreiben. Fast alle Musikinstrumente sind historisch betrachtet in ein Ensemble eingebunden, vorrangig in die beiden traditionellen Orchesterformen des Hofes (aufgeteilt im 15. Jhdt in die Musik “aus der Höhe des Saales” [duong thuong chi nhac] und “aus der Tiefe des Saales” [doung ha chi nhac] zu dem auch das bis ins 20.Jahrhundert exisitierende dai nhac zu rechnen ist), die jedoch heute nicht mehr existieren.

Die heutigen Ensembleformen sind nur noch als Analogien dieser klassischen Ensembles zu betrachten. Heute finden wir in Vietnam Ensembles bei Festen, religiösen Zeremonien sowie als Begleiter von Theater und Tanz. Es ist nicht weiter verwunderlich, dass die Zusammensetzung eines Ensembles zweckgebunden erscheint, ein Ensemble für militärische Musik ist anders instrumentiert als ein ziviles Unterhaltungsorchester oder ein Zeremonienorchester.

Eine gesonderte Betrachtung hätte die Ensemblemusik der ethnischen Minderheiten Vietnams verdient, allem vorangestellt die komplexen Gongensembles in Zentralvietnam. Abgesehen von dem Umstand, dass viele Bereiche bis heute noch nicht erforscht sind, ist die Vielfalt dort so groß, dass selbst ein Versuch einer Übersicht schwierig ist und den Rahmen dieser Betrachtung sprengen würde.
Gleiches gilt für die zeremonielle Musik des Buddhismus, die je nach geographischer Region verschieden ausfällt. So finden sich in Zentralvietnam Ensembles mit einer oder gar mehreren
Khene, im Süden sind die Fideln Nhi sehr verbreitet. In der sogenannten “tan”-Manier entdeckt man neben dem im Süden weit verbreiteten Falsettgesang auch das dai nhac Ensemble (s.o.) wieder. Die Musik hat oft Analogien zur Theathermusik, die später näher betrachtet wird.

Wenn man bedenkt, wie gerade in der Zeremonialmusik SüdOst-Asiens die geopolitischen Grenzen der heutigen Nationen keine Rolle spielen, wie z.B. sich buddhistische Gesänge von der Grundstruktur und der benutzten Instrumente gleichen, oder wie ähnliche Trennungen der Funktionalität eines Ensembles in seiner Instrumentierung Niederschlag finden, so zeigt sich erneut, wie wichtig die Ensemblemusik für das gesamte Musikverständnis des asiatischen Kulturraumes ist und bleiben wird.

2. Ensembles der Unterhaltungsmusik
Aus der Tradition der Hofmusik stammend, hat die Unterhaltungsmusik in Vietnam einen ähnlich hohen Stellenwert wie China oder Japan 
(wo daraus die so wichtige Kunstform des
Gagaku entstand). In Vietnam finden sich die Ensembles zur Unterhaltungsmusik neben Festen, beim Tanz und Theateraufführungen auch in zwei Kunstformen, die eigentlich als ausgestorben galten und erst in den letzten Jahren eine neue Renessaince erleben:
Hat a dao
und ca Hue.

HAT A DAO
Der “Gesang der Singmädchen” ist eine faszinierende Tradition, die sich angeblich bis nach Persien zurück verfolgen läßt und dennoch unklar in seinem Ursprung ist. Hier finden wir das kleinste Ensemble, bestehend aus dem (früher auch im Ballett tanzenden) Singmädchen mit der Holzklapper, einer meist zweisaitigen Langhalslaute und für den Zuschauer die Beifallstrommel, deren Anzahl der Schläge die Belohnung der Darbieterin bestimmt. Die unter diesem Namen seit dem 15. Jhdt bekannte Kunstform erlebte ihre Blütezeit im 19. Jhdt und läßt sich durchaus mit der ausschließlich für die Aristokratie hoch stilisierten Kultur der japanischen Geisha vergleichen. In Vietnam mag ursprünglich das hat a dao ein Wettbewerb zwischen Bäuerinnen gewesen sein, doch der Wettbewerbscharakter findet sich nur noch in der Beifallstrommel wieder und ist heute gänzlich verschwunden. Die Komplexität dieser Kunstform zeigt sich in den vielfältigen “the” (ein kaum erklärbares Wort), Gesänge mit unterschiedlichem Text und Zweck, deren Vielfalt und Komplexität an einen indischen Raga heran reicht.

CA HUE
Diese heute vor allem bei Touristen beliebte Musik entwickelte sich wahrscheinlich als aristokratischer Ableger aus dem hat a dao im 18. Jhdt. Sein Repertoire wird heute manchmal auch solistisch gespielt oder in speziell hierfür geformten Ensembles, einem Trio aus Tranh, TyBa und CoKe, welches auch zu einem Quintett mit Monochord und Querflöte erweitert werden kann. In Hue wird diese Musik an den Schulen als “klassische” Musik unterrichtet.  Anklänge des hat a dao und ca Hue findet man auch in der Amateurmusik “dan tai tu” und in Südvietnam, wo oftmals die gleichen Stücke gespielt werden. Allerdings ist hier die Instrumentierung nicht so streng eingehalten, und eine Tranh kann auch durchaus einmal  mit nur zwei Fingern (Daumen und Zeigefinger) gespielt werden.

3. Theatermusik
Obwohl es in Hanoi ein Opernhaus gibt, sollte man bei der Theatermusik in Vietnam besser nicht die Begriffe “Oper” oder “Operette” benutzen,
da diese zu sehr von unseren westlichen Vorstellungen geprägt sind. Vielmehr handelt es sich tatsächlich um ein musikalisches Theater, das durch die gesamte Vorstellung von Musik und Gesang geprägt wird. Selbst das berühmte
Wasserpuppentheater in Hanoi ist ohne die narrative  musikalische Begleitung undenkbar.

Grundsätzlich lassen sich in Vietnam zwei musikalische Theaterformen unterscheiden: Das traditionelle oder “klassische” Theater hat tuong und das volkstümliche Theater hat cheo. Welche dieser beiden Formen historisch gesehen früher entstand läßt sich nicht eindeutig klären, und auch die Annahme, die vietnamesischen Theaterformen hätten sich aus chinesischen Vorbildern entwickelt werden der Eigenständigkeit dieser bis heute existierenden Formen nicht gerecht. Vielmehr ist von einer fließenden Entwicklung auszugehen, die beim traditionellen Theater zur Weiterentwicklung des “neuen” Theaters hat cai luong (ab 1918) führte, und die ebenso das hat cheo zur beliebtesten Theaterform in Nordvietnam werden ließ.

In der Musik des hat cheo finden sich viele Besonderheiten, so beispielsweise die Existenz von rein instrumentalen Zwischenspielen, in denen
man eine Analogie zur bereits erwähnten japanischen Gagaku Musik sehen mag. In der Zusammensetzung des Ensembles überwiegen Saiteninstrumente zur Begleitung der zahlreichen Deklamationen und Rezitative, während eine kleine (inzwischen gewachsene) Rhythmuseinheit Bewegungen akzentuiert oder gesungene und gesprochene Texte kommentiert.

Mag die augenscheinliche Erscheinungsform des klassichen Theathers tuong (heute hat cai luong, s.o.) mit der Schminke, Bühnenform und Auftrittsweise der Darsteller kaum vom traditionellen chinesischen Theater unterscheidbar sein, so ist die hier erklingende Musik doch eindeutig vietnamesisch. Das Ensemble ist stark rhythmisch ausgeprägt und jeder Musiker kann mehrere Instrumente bedienen, so daß in manchen Fällen bereits drei Musiker ausreichen. Instrumentelle Musikstücke nehmen auch hier einen wichtigen Part ein, allen voran die Kriegstrommel, die von den Kadenzformeln des Gongs begleitet wird. Deklamationen und Rezitationen werden tatkräftig unterstützt, auch hier steht eine reichhaltige Gesangskunst im Mittelpunkt.

Heute wirken traditionelle Aufführungen selbst für Vietnamesen unverständlich, und der Lärm eines Trommelwirbels, die hohen Fistelstimmen der Darbieter und die farbenfrohen Kostüme gelten selbst bei Vietnamesen als “exotisch”...

4. Mit Gesang in die Zukunft
Schon bei der Theatermusik wird deutlich, wie zentral die Gesangsformen das Spiel des Ensembles in Vietnam bestimmen. Dies gilt nicht nur für die traditionellen Musikformen oder die wenig erforschte Musik der ethnischen Minderheiten, eher kann man davon ausgehen, dass reine Instrumentalmusik in Vietnam seltener zu hören ist.

Gerade in der volkstümlichen Musik wird deutlich, wie sehr die einzelnen Instrumente funktionalisiert sind und hauptsächlich den metrischen und auch deklamatorischen Vorgaben der Sprache folgen. Während bereits bei den Rhythmusinstrumenten eine große Vielfalt an Schlußklauseln und Kadenzen vorherrscht, scheint die Anzahl melodischer und sprachlicher Formeln im Gesang unüberschaubar groß. Da die vokalen Melodieformen Erscheinungsform und Funktion eines Musikinstruments bestimmen und definieren, ist eine Untersuchung des vietnamesischen Liedrepertoires unumgänglich, jedoch auch eine Aufgabe für ein ganzes Leben.

Unter den vielen Liedformen wie den Wiegenliedern und Kinderliedern, die bereits einen guten ersten Zugang zu der für unsere Ohren fremden Musik ermöglichen, den meist responsorischen Arbeiterliedern (“ho”) mit Rezitativ und Chorus und den Liebesliedern (“ly”) finden sich die Wechselgesänge und Gruppengesänge bei Festen (“hat hoi”) die schließlich neben instrumentaler Begleitung auch selbst wie ein Ensemble betrachtet werden können. Begräbnislieder, die Lieder der blinden Meister (“hat xam”, durch die Gegend reisende blinde Musiker, heute nur noch selten doch in ganz Asien eine alte Tradition), Gesänge der Schamanen: Immer finden sich geeignete Musikinstrumente, die den Gesang begleiten und unterstützen ohne ihn zu dominieren.

Wenn auch viele Traditionen schwinden, so bleibt doch ein sozialer Aspekt in der Idee und Funktion des Ensembles zur Unterstützung des Gesangs erhalten. Man trifft sich in der Gruppe, stärkt das Zugehörigkeitsgefühl - wie z.B. in den “quan ho” Familien in Nord Vietnam, wo man den Gesang des Anderen erlernt indem man bei ihm übernachtet. Man beachtet jeweils den Anderen in seinem Können und entwickelt sich weiter in den Wettbewerben, die leider heute immer seltener werden. Gerade die letzten Aspekte können eine wichtige Triebfeder sein, diese Traditionen auch für die Zukunft zu erhalten.

Insgesamt fällt auf, dass sowohl die unterschiedlichen Ensembles als auch die damit verknüpften reichhaltigen Musikformen und Gesangstraditionen bedingend für die Erscheinung der gesamten traditionellen und aktuellen vietnamesischen Musik sind.